Ursprung und Entwickung

Wiener Planspielrunde

Die Wiener Planspielrunde entstand etwa um 1954 als lockerer Zusammenschluss von Liebhabern historischer Figuren und Modelle, die gerne ihre Sammelobjekte auch im spielerischen „Einsatz“ auf Gegenseitigkeit sehen wollten. Am Anfang stand eine unverbindliche Gestaltung der Spielumgebung des Spielmaterials und der Spielregeln.  Dieser einfache Ansatz befriedigte jedoch bald ernsthafte Spieler nicht. Wesentlich zur Weiterentwicklung des Spieles war die Entwicklung verbindlicher Spielregeln, Normung des Spielmaterials und die Spielverlagerung auf einen Tisch. Für diese Weiterentwicklung im Raume Wien waren damals hauptsächlich mein Vater, Ing. Herbert Hahn, sein Sammlerfreund Dr. Fritz Wiener sowie mehrere Herren aus dem Kreis der Wiener Zinnfigurensammler verantwortlich. Sie wählten für ihre Spielidee damals den Namen „Planspiel“, weil im deutschsprachigem Raum der Begriff „Kriegsspiel“ negativ besetzt war. Tatsächlich ist der Begriff Planspiel wesentlich vielseitiger, beschäftigt sich nicht nur mit Militär und Krieg und hat seine Hauptanwendung als Unterrichtsmethode.

Ing. Herbert Hahn
Ing. Herbert Hahn
Dr. Fritz Wiener
Dr. Fritz Wiener

Etwa zeitgleich mit der Urform des Wiener Planspieles hat sich in England –  um Donald Featherstone, Jack Scruby, Paddy Griffith, Phil Barker und deren Freunde – eine richtige „Wargamer-Kultur“ entwickelt, die sich heute praktisch international durchgesetzt hat.

Heute wird für diese Art Spiele allgemein die Begriffe „Tabletop“ oder „Wargame“ verwendet. Da Wiener und Hahn keine Verbindung zum englischsprachigen Raum hatten, wussten sie auch nichts von der Parallelentwicklung. Sie wählten daher auch einen anderen Ansatz, sodass sich heute die Spielsysteme wesentlich unterscheiden. Während in England in der Regel auf einem unmarkierten Tisch gespielt wird, und die Entfernungen mit einem Maßstab gemessen werden, verwendet das Planspiel eine Spielplatte mit einem Gitternetz quadratischer Felder. Das Planspiel hat damit eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Brettspiel. Aus optischen Gründen ist es aber möglich die Felder nicht durchzuzeichnen sondern nur die Eckpunkte zu markieren.

Hauptspielzeit war der 2.Weltkrieg. Ich kann mich als Kind aber daran erinnern, dass auch mit Römern, Germanen und Ägyptern, 30 jähriger Krieg, Türkenkriege des Prinzen Eugen, 7 jähriger Krieg, die napoleonische Kriege oder 1870/71-deutsch-französischer Krieg gespielt wurde. Meinem Vater hat das reine Kriegsspiel, nur auf der Platte (Arbeitsbezeichnung taktisches Spiel), nie ganz befriedigt, sondern er wollte immer eine operative und strategische Ebene einbeziehen. Ich war einigermaßen überrascht als um 1999 im PC-Strategiespiel „CIVILIZATION“ und anderen modernen Aufbauspielen viele Elemente der damaligen Ideen meines Vaters wiederzufinden. Dies zeigt, dass unabhängig von meinem Vater auch andere Menschen auf ähnliche Ideen gekommen sind.

Ein Meilenstein in der Entwicklung des Planspieles war die Bekanntschaft mit Fritz Wiener, damals noch nicht Dr., sondern Hauptmann a.D., Optikermeister und Zinnfigurensammler in Wien. Wiener hatte bereits als Jugendlicher mit seinem Freund Prof. E. Böhm auf Platten mit Zinnfiguren gespielt und nahm die Grundideen meines Vaters gerne auf. Während mein Vater eher die Figuren- und Modellbauseite abdeckte, war Wiener der Systematiker, der Regeln niederschrieb und auch veröffentlichte. Wiener befasste sich vorwiegend mit der Regelentwicklung und deren Verbreitung, mein Vater mit der Herstellung des Spielmaterials und der Regelerprobung. Die Regeln wurden zuerst hektographiert und in kleiner Stückzahl unter dem Titel „Die Zinnfigur im Gefecht“ in Österreich verbreitet. 1957 wurden die Regeln erstmals in einem Artikel in der Zeitschrift „Die Zinnfigur“, Burgdorf bei Hannover, vorgestellt und 1960 in einer Sondernummer „Der Zinnfigur“, Herausgeber F. Schirmer, dem deutschsprachigen Raum zugänglich gemacht. Außer der Wiener Spielerrunde haben sich auch in Deutschland ähnliche Runden gebildet, die heute noch nach diesen Regeln spielen.

Der Spielerkreis in Wien wurde immer größer. Ich kann mich neben Wiener und Böhm an die Herrn Dipl. Ing. Kosar, Nendwich, Dolleschal, Karell erinnern. Später kamen dann noch die „Jugendlichen“ Norbert und Raimund Hahn, F. Villi, N. Kriviniy, Walter und Fritz Moser, K. Leutgeb, und E. Vecer, dazu. Als Gäste waren oft bekannte Zinnfigurensammler, z.B. Oberst A. Wagner, eingeladen. Besonders zu erwähnen wäre aus diesem Kreis Hauptmann a.D. Kraus, der selbst mit einer eigenen Spielerrunde 30-jähriger, 7-jähriger und napoleonische Kriege auf der Planspielplatte spielte und später als Figurinenerzeuger weltbekannt werden sollte.
Die erste Zeit des Planspieles war die der Bastler und Maler, da es praktisch nichts anderes gab. Mein Vater hat zuerst 20mm flache Figuren aus Karton mit der Laubsäge ausgeschnitten und auch die Fahrzeuge und Waffen aus Karton, Holz und Draht gebastelt. Wiener konnte dann einen kleinen Bestand von 20mm flachen Zinnfiguren der Firma Wittmann auftreiben, sodass die Kartonfiguren langsam ersetzt werden konnten. Da die Firma Wittmann aber im 2. Weltkrieg untergegangen ist und nichts mehr produzierte wurden diese Figuren in Gips eingeformt und nachgegossen. Weil das aber nicht reichte, wurden weitere Figuren von Vater in Gips graviert und gegossen. Gegen Ende der 50 er Jahre kamen die ersten vollplastischen Figuren und Kunststoffmodelle auf. Nach einer Mischperiode (noch nicht alle Modelle gab es in Plastik) von etwa 20 Jahren hat heute das Plastikmodell die gebastelten Modelle und die vollplastische Zinnfigur die flache Zinnfigur abgelöst. Ich selbst verwende aber aus nostalgischen Gründen gelegentlich auch noch Nachbauten der Modelle meines Vaters aus der Gründerzeit.

Meinem Vater ließ die Idee eines strategischen und operativen Überbaus beim Planspiel aber keine Ruhe. Noch knapp vor seinem frühen Tod 1958 arbeitete er an der Entwicklung eines strategisch-operativen und taktischen Planspieles in der Zeit des Prinzen Eugen. Selbstgravierte 20 mm flache Zinnfiguren und einige Geländeteile sind bleibende Relikte aus dieser Zeit. Seinen Vorstellungen nach sollte jeder Mitspieler ein Land, z.B.: England, Frankreich, Spanien, Bayern, Österreich, Preußen, Türken u.s.w. übernehmen und bearbeiten. Tatsächlich wäre diese Zeit für ein Spiel auf allen drei Ebenen, zu Land und zur See auch heute noch geradezu ideal. Ständig wechselnde politische Konstellationen und Allianzen, die Entwicklung des Welthandels, der Handelsrouten, der Kampf um Kolonien, die Errichtung von Stützpunkten und die relative Einfachheit der damaligen operativen Bewegungen der Heere und Flotten sind auch heute noch faszinierend. Leider endete mit dem Tod meines Vaters dieser Ansatz.

Nach dem Tod meines Vaters übernahm Dr. F. Wiener, nunmehr Jurist und Militärschriftsteller, die Leitung der Planspielrunde. Mehrere Jahre wurden unter seiner Leitung vor allem taktische Planspiele in der Zeit des 2. Weltkrieges aber auch moderne Lagen (Kalter Krieg) durchgespielt. Einige Male versuchte Wiener auch operativ zu spielen, doch leider zeigten sich die meisten Mitspieler zeitmäßig und auch fachlich überfordert. So standen z.B. ich selbst und auch K. Leutgeb (später Brigadier des Bundesheeres) damals erst am Beginn unserer militärischen Ausbildung und waren dem nicht gewachsen. So scheiterte die operative Ebene bei der Wiener-Runde schließlich.

Anfang der 1960er-Jahre lernte Wiener den damaligen Hauptmann i.G. der Bundeswehr und Zinnfigurensammler Armin Schrotberger kennen. Schrotberger sollte später noch Oberst i.G. werden. Schrotberger war von den taktischen Planspielen begeistert und ließ sich auch von Wiener zu einer strategischen und operativen Ebene im Sinne der letzten Ideen meines Vaters inspirieren. Mit Schrotberger hatte Wiener nach dem Tod meines Vaters endlich wieder einen Partner, der fachlich zum Spielen in einer strategischen und operativen Ebene in der Lage war. Schrotberger nahm die Grundideen Wieners auf und begann mit deutscher Gründlichkeit und Großzügigkeit das Problem anzugehen. Dabei drängte er Wiener immer mehr an den Rand. Wiener hatte mehr Spielerfahrung, kannte die Mitspieler und wollte die operative und vor allem die strategische Ebene möglichst einfach halten, während Schrotberger einen umfassenderen (deutschen) Ansatz im Auge hatte. Es kam, wie es kommen musste. Die Freundschaft und Zusammenarbeit zweier großartiger Menschen ging in die Brüche. Die Planspielrunde bei Wiener wurde damit gesprengt und Wiener beendete die Planspielerei überhaupt.

Wiener Planspielrunde 1960
Wiener Planspielrunde 1960
Wiener Planspielrunde 1960
Wiener Planspielrunde 1960
Wiener Planspielrunde 1960
Wiener Planspielrunde 1960

Schrotberger versuchte nun alleine ein Kriegsspiel OST-WEST (Kalter Krieg) in allen Ebenen, zu Lande, in der Luft und zur See mit fiktiven Staaten, Rüstungsstand etwa 1960, mit den Resten der Wiener-Planspielrunde von Deutschland aus zu organisieren. Etwa zehn neue Mitspieler wurden vor allem von F. Villi geworben. Schrotberger ging die Sache systematisch und generalstabsmäßig an. Er brachte seine genialen Ideen zu Papier und veröffentlichte sie in Rundbriefen an die Mitspieler. Die Rundbriefe befassten sich mit Grundlagen für die Spielführung: (z.B. Kartenmaterial), Spielregeln für den politischen Bereich, Spielregeln für den wirtschaftlichen Bereich, Spielregeln für die operative Führung der Landstreitkräfte, Spielregeln für die operative Führung der Luftstreitkräfte. Spielregeln für die operative Führung der Seestreitkräfte, die strategisch- operative Ausgangslage usw. Alle Mitspieler waren zunächst begeistert. Doch allmählich stellte sich Ernüchterung ein. Die Mitspieler waren zeitmäßig und zumeist auch fachlich überfordert. Die erforderlichen „Hausaufgaben“ wurden nicht erledigt und auch sonst begannen die Spieler das Interesse zu verlieren. So genial der Ansatz Schrotbergers auch war, er war zu breit gefächert. In einer Spielerrunde sind erfahrungsgemäß kaum zwei Spieler bereit strategisch und operativ zu spielen. Die meisten Spieler wollen auf der taktischen Ebene verharren. Schrotberger hätte das Spiel nur mit zwei Staaten und wesentlich einfacher aufziehen sollen. Mit dem frühen Tod von Oberst i.G. Schrotberger ist auch seine Idee gestorben, ohne dass er die erforderlichen Vereinfachungen einleiten konnte.

Norbert Hahn
Norbert Hahn

Nach dem Ende der Schrotberger-Runde übernahm ich, mittlerweile Bundesheeroffizier,  die Führung der Planspielrunde. Mit den Resten der alten Spieler, F. Linhartsberger, K. Leutgeb, E. Vecer und den Neuzugängen von P. Weithofer, seinem Sohn Mag. H. Weithofer, O. Fidi, Gastspieler W. Moser, meinem Sohn Obst C. Hahn, MA und meinem Bruder R. Hahn, führten wir in den Jahren danach weiter taktische Planspiele durch. Später stießen noch Ing. Mag. F. Ehart, R. Prohaska, Dipl. Ing. A. Hitsch Dr. G. Eckel, Prof. Dr. H. Ambros und Enkel Lt. T. Hahn BA zu uns. Ambros hatte unabhängig von uns, aber von der Basis der veröffentlichten Wiener Urregeln ausgehend, ein eigenes strategisch-taktisches Regelwerk (STS = Strategie und Taktik-Simulation) entwickelt, das er in einer sehr klein gehaltenen Spielerrunde spielte. Eine Zeit lang versuchten wir unsere beiden Regelwerke zusammenzuführen, doch scheiterten die Versuche schließlich an zu großen Auffassungsunterschieden. Beide Spielsysteme übernahmen zwar Teile voneinander, blieben aber eigenständig. Die erforderliche Infrastruktur Raum, Modelle Figuren stellten ich, P. Weithofer und vor allem F. Linhartsberger bereit. F. Linhartsberger verfügte über einen permanenten Planspielraum und tausende von Modelle und Figuren. Einige der Mitspieler aus der alten Wiener- und Schrotberger-Runde sind im Laufe der Jahre aber verstorben, oder aus unterschiedlichen Gründen ausgeschieden. Die Idealgröße für eine Runde sind aus meiner Erfahrung etwa sechs Personen, die auch räumlich nicht zu weit auseinander wohnen. Mehr sind aus praktischen Gründen kaum zu verkraften.

Um 2004 lernte ich, über R. Prohaska den Wiener Zinnfigurensammlerverein 1683 kennen. Über den Vorsitzenden, Herrn F. Rieder, lernte ich die Herren Mag. H. Zima, Ing H. Weilinger, Dr. H. Dousek, Dr. G. Eckl, S. Brandl, W. Kiss, und R. Kochesser kennen. Mag. Zima war ein alter Kriegsspieler mit internationalen Kontakten, der in seinem Haus vor allem nach den englischen DBA-Regeln historische Kriegsspiele durchführte. Durch Mag. H. Zima inspiriert entschloss ich mich auf der Basis der bewährten Spielmechanismen der Wiener Urregeln eigene Napoleonkriegsspielregeln zu entwickeln. Etwa gleichzeitig lernte ich über Herrn F. Rieder eine Napoleonspielrunde um Dipl. Ing. Godzinski kennen, der nach alten englischen Kriegsspielregeln (Newbury-Regeln) in seinem Haus in Wien Kriegsspiele durchführte.  Eine Nebenrunde von Godzinski spielt nun seit vielen Jahren, hauptsächlich unter Dipl. Ing. G. Nimsch nach diesen Regeln in Katzelsdorf. Ich trat in diese ein und lernte dabei viel über die Napoleonische Kampfweise (Taktik) was ich teilweise  in  meine Napoleonkriegsspielregeln übernahm.

Mein Hauptsteckenpferd ist das Kriegsspiel (Wargaming) in allen Epochen von der Antike bis zum Kalten Krieg. Damit sind Geschichtsinteresse, Sammel-, Mal- und Basteltätigkeit sowie Kontakte zu Gleichgesinnten eng verbunden. Die Planspiele finden derzeit hauptsächlich in meinem Haus in Vöslau im „Spielkeller“ statt. Die aktuelle Spielerrunde besteht aus etwa 10 Personen, die etwa einmal monatlich entweder 2.WK oder Napoleon spielen. Die Spielplatte und das Gelände wird selbst erzeugt und gestaltet, die Figuren  und Modelle sind zugekauft aber selbst bemalt. Der Spielmaßstab für 2.WK ist 1:200 (10mm Figuren) für Napoleon 1:100 (15mm Figuren). Ich sehe mich beim Planspiel und Betreuung der Runde auch irgendwie als geistiger Erbe Dr. Wieners und meines Vaters, und würde „unser“ Spielsystem auch gerne weiterführen und an meinen Sohn übergeben.

Mein Sohn und Enkel

Norbert Hahn

Ich bin der älteste Sohn des Miterfinders des Planspielsystems, Ing. Herbert Hahn. Heute bin ich ein pensionierter Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres (Oberst). Ich spiele Plan seit meinem fünfzehnten Lebensjahr in den unterschiedlichsten Epochen, hauptsächlich aber im 2.Weltkrieg. Die frühe Beschäftigung mit dieser Materie hat dabei auch wesentlich zu meiner späteren Berufswahl beigetragen. So wie ich spielen auch mein Sohn Christian und mein Enkel Thomas bereits seit ihrem vierzehnten Lebensjahr. Beide wurden ebenfalls Berufsoffiziere. Neben den Planspielen in allen Epochen, sowohl auf dem Lande, zur See und in der Luft beschäftige ich mich noch mit Kriegsgeschichte, Modellbau, Computern und dem Sammeln von Zinnfiguren und militärischen Orden sowie dem Studium der einschlägigen Literatur.